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Interessante Gesichtspunkte

Dolmetschen vom Heimarbeitsplatz im Minutentakt abgerechnet?



Videodolmetschen scheint immer populärer zu werden, ich habe innerhalb einiger Wochen gleich zwei Angebote von Dolmetscherbüros bekommen. Bei den neuen Videodolmetsch-Systemen melden sich der Dolmetscher, der Referent (und sein Publikum) oder die Verhandlungsparteien an einem separaten Server an. Auf diese Weise kann das Dolmetschen mit einer Ton- und Bildqualität erfolgen, die weitaus besser ist als die von Skype, obendrein kann der Dolmetscher das alles von zu Hause aus übers Internet erledigen.

Es sieht allerding so aus, als ob der in Heimarbeit mündende technologische Fortschritt auch zu einer gedanklichen Veränderung bei den Auftraggebern führen würde, denn eines der Dolmetscherbüros hat für Aufträge eine Minutenabrechnung angeboten. Ein Euro/Minute hört sich zwar für ungarische Verhältnisse nicht schlecht an (bei 8 Stunden sind das ja schon 360 Euro), aber durch die Verknüpfung des Auftrags mit einem Bereitschaftsdienst von 2,90 Euro/Stunde wird das Ganze in das entsprechende Licht gerückt: Es geht hier nicht um „normale“, sondern um ad-hoc Aufträge (aus dem Gesundheitswesen), die sehr wahrscheinlich nicht allzu lange dauern. Wie viel man bei solchen Einsätzen verdienen kann, habe ich letztendlich nicht feststellen können, denn um ehrlich zu sein, ist mir der Appetit an dieser Arbeit schnell vergangen.
Das Angebot der anderen Firma war dann schon großzügiger: man konnte das Dolmetsch-System ausprobieren und auch die Honorare entsprachen europäischen Verhältnissen: Außer eines kurzen, 2-stündigen Auftrags haben sie die gewohnten Halbtages- und Ganztagshonorare angeboten. Ersteres lässt sich ja noch verkraften, wenn man bedenkt, dass der Auftrag vom Heimarbeitsplatz aus erledigt werden kann.

Ich denke, man sollte diese neue Art des Dolmetschens im Auge behalten, denn die Branche steht vor einer neuen, technologischen Veränderung (ähnlich zu der, die die Übersetzungsbrache vor annähernd einem Jahrzehnt mit der Verbreitung von CAT-Software erlebte). Was sich jetzt vor unseren Augen entfaltet, wird etwas anderes sein, als das bisherige Dolmetschen am Telefon oder über Skype. User Experience, also das Nutzungserlebnis mit ausgezeichneter Bild- und Tonqualität tritt immer mehr in den Vordergrund und Dank des separaten Servers wird das Dolmetschen in einem geschlossenen System stattfinden, das heißt, die Kunden werden auch eine gewisse Garantie für vertrauliche Verhandlungen erhalten. Die gute alte analoge Form des Dolmetschens wird natürlich weiterhin bestehen bleiben, doch der Druck, die Verrechnungseinheiten des Dolmetschens zu verkürzen (Minutentakt wird es zwar nicht geben, aber vielleicht eine Viertelstunde?), wird auch hier zunehmen. Es hängt von uns ab, ob wir hier nachgeben oder uns an die ungeschriebene Regel halten, wonach jeder Auftrag einer Vorbereitung bedarf. Und die muss auch bezahlt werden.